Nach dem großen Erfolg der Pariser Weltausstellung von 1900 erlebte die Firma Loetz einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Glasbläser kreierten neue, außergewöhnliche Vasen, die sich dem Dekor der Weltausstellung anschlossen.
Eine dieser Vasen, die man 1900 bis 1902 fertigte und auch zum ,,Phänomen Genre‘‘ dazugehört, ist unter dem namensgebenden Musterschnitt 802 bekannt. Sie ist mit ,,Loetz Austria‘‘ signiert, ist 21 cm hoch und 16 cm im Durchmesser.
Manche Dekore sind mit unterschiedlichen Vasenformen kombiniert und man hat dadurch sehr ähnliche Varianten erschaffen. Diese ist eine davon. Bei dem ,,Phänomen Genre‘‘ 802 ist der vorliegende Dekor nur auf diese Vasenform appliziert. Er ist extrem selten. Nur wenige Exemplare sind bekannt. Zwei von ihnen befinden sich in Sammlungen von Museen. Eine ist im Bröhan Museum in Berlin, die andere steht im Passauer Glasmuseum. Eine weitere ist im Privatbesitz und eine steht im Kunsthandel Nikolaus Kolhammer zum Verkauf.
Der Dekor ist überaus komplex und von außergewöhnlicher Schönheit. Die Vase hat einen hellrosafarbenen Grund (Loetz-interne Bezeichnung ,,metallroth‘‘). Auf der Wandung sind kobaltblaue, und im oberen Teil, silbergelbe Oxidbänder aufgesponnen. Danach hat man sie im heißen Zustand mit Zangen auf- und abwärts zu vier symmetrischen Federmustern verzogen. Die dadurch entstandene Oberfläche des Kunstwerks wirkt fast wie ein Strand mit seichtem Wasser. Als ob die Blautöne wie im Glanz der Südseesonne von hellblau bis hin zu türkis und an der Vasenöffnung violett schimmern. Beinahe könnte man glauben, dass man den Strand und das flache Meer einer Südseeinsel auf eine Loetz-Vase gesponnen hat.
Insgesamt bringt die klassische und elegante Vasenform den sehr komplexen und verspielten Dekor schön zur Geltung. Sie ist eine Meisterleistung der Loetz Werkstätte nach 1900.
Eine ganz andere Vase aus dem Jahr 1901 fällt besonders mit ihrer hohen gedrehten Form auf. Ursprünglich hat Christoph Dresser diese Vase für eine andere Glashütte entworfen. Loetz hat sie dann um 1900 in sein Produktionsprogramm aufgenommen. Sie ist mit ,,Loetz Austria‘‘ signiert und unter dem Namen Dekor Phänomen Genre ¼ bekannt.
Die 32 cm hohe Vase sticht besonders durch ihre verjüngende Form nach oben hin auf. Dazu unterstreichen große Tropfenauflagen in unterschiedlicher Länge die Dynamik des gedrehten Glaskörpers und bilden einen einzigartigen Kontrast zum gleichmäßig verzogenen, horizontalen Dekor. Schimmerndes Silber, fast perlenfarben, überzieht ein Orange und Rostrot. Es sind Farben, die an einen Sonnenaufgang erinnern.
Eine weitere Vase, die um 1902 gefertigt ist, gehört zum Dekor ,,Argus‘‘ und ist eine der beliebtesten Varianten aus der Familie der Phänomen Genres. Silberoxidmuster lassen den Eindruck von eisblauen Augen auf rostrotem Hintergrund entstehen. Mit versponnen Silberkrösefäden zählt dieser hütteneigene Entwurf zu einem der anspruchsvollsten Dekore.
Die böhmische Glasmanufaktur hat sich hier stark an dem sezessionistischen Stil orientiert und inspirieren lassen. Die Künstlervereinigung Wiener Secession war eine Künstlergruppe, darunter auch Gustav Klimt, die damals die ästhetische Avantgarde in Wien darstellte.
Die schimmernden Silberpartikel scheinen wie auf einer bewegten Wasseroberfläche zu schweben, wobei die bläulichen Silberfäden wellenartig ondulieren und dem Muster eine gleichmäßige Dynamik verleihen. Besonders schön kommt der aufgesponnene Dekor auf dem haselnussbraunen Grund zur Geltung, der nach unten hin graduell zu einem helleren Farbton verläuft.
Dekor ,,Argus‘‘ deswegen, weil das Muster an Augen erinnert. Argus ist ein Riese aus der griechischen Mythologie, der am ganzen Körper Augen besaß. Selbst wenn er schlief, blieben einige Augen offen und konnten wachsam alles um sich herum beobachten. Als Zeus sich eine neue Geliebte suchte und seine Wahl auf Io traf, ließ seine eifersüchtige Gattin Hera, Io von Argus bewachen, damit Zeus sie nicht verführte.
Der König der Götter schickte allerdings Hermes zu Argus, der den göttlichen Mächten nicht gewachsen war. Hermes tötete Argus und Zeus verführte Io. Hera hatte Mitleid mit Argus und machte ihn auf eine gewisse Weise unsterblich. Sie setzte all seine Augen auf das Gefieder der Pfaue. Diese sollten von nun an Beschützer und Begleiter der Königin des Olymps sein.
So tragen, wie das schöne Gefieder der Pfaue, blau und grün schimmernd, auch Loetz Vasen die göttlichen Attribute der Hera und machen sie um so mehr zu unsterblichen Kunstobjekten.