Mitte des 19. Jahrhunderts ordnete Kaiser Franz Josef I an, die Bastionen des ersten Bezirks aufzulassen, um die prächtige Ringstraße zu errichten. Von 1858 bis 1874 war Wien eine riesige Baustelle und in jener Zeit wurden die heute weltbekannten Gebäude der Wiener Ringstraße erbaut, darunter die Museen, die Theater oder das Rathaus. So beginnt die Geschichte der Werkstätte Hagenauer.
Es war eine Zeit des Aufschwungs und all diese neuen Projekte boten KünstlerInnen und HandwerkerInnen viele Möglichkeiten auf Arbeit. Das Wiener Kunstgewerbe erlebte eine noch nie dagewesene Hochblüte. Außerdem kam es im Bronzeguss zu einem technischen Durchbruch. Das aufwendige Wachsausschmelzverfahren wurde durch das Sandgussverfahren ersetzt. Dadurch blieb die Gussform erhalten und eine Figur konnte unbegrenzt nachgegossen werden. Die Wirtschaft florierte und fortan konnten Bronze und Eisengegenstände industriell in Serie gefertigt werden. Das aufsteigende und immer reicher werdende Bürgertum war zahlender Kunde.
Fast zur gleichen Zeit begann Carl Hagenauer seine Lehrzeit bei der Wiener Silberwarenfabrik Würbel & Czokally. Er erhielt eine klassische Ausbildung an historisch orientierten Designs, besonders der Renaissance. Die Silberwarenfabrik spezialisierte sich auf ,,kunstgewerbliche Gegenstände‘‘ wie Tafelaufsätze, Schüsseln und Tassen.
Nachdem er in Pressburg seine Gesellenzeit bei dem Goldschmiedemeister Bernauer Samu abschloss, gründete er dort im wirtschaftlichen Zentrum nicht nur seine erste Werkstatt, sondern auch eine Familie.
Doch wenige Jahre später zog es ihn und seine Familie wieder nach Wien, wo er in der Zieglergasse 39 seine eigene Werkstatt eröffnete. Die Kundschaft in Wien und die Möglichkeiten, die sich um die Jahrhundertwende entfalteten, waren in der Hauptstadt einfach größer.
Zuerst entwarf er klassische Wiener Bronzewaren basierend auf Vorbildern der Antike, Renaissance und dem Barock. Alles, was dem damaligen Zeitgeschmack entsprach.
Die Zeit des Jugendstils
Mit dem Aufkommen des Jugendstils in Wien fand Carl Hagenauer seine wahre Leidenschaft. Asymmetrische Gestaltung und fließende Linien, die charakteristischen Elemente des Jugendstils, fanden ihren Weg in sein Handwerk. Carl Hagenauer produzierte fortan Bronzefiguren, Reliefs und Lampen in dieser immer beliebter werdenden Kunstrichtung. Nicht nur in Wien, sondern europaweit wurde er zu einem der gefragtesten Künstler im metallverarbeitenden Kunstgewerbe.
Carl Hagenauer ermöglichte es seinen Kindern an seinem Erfolg anzuknüpfen und bot ihnen die bestmögliche Ausbildung. Sein Sohn, Karl, wurde in die Kunstgewerbeschule eingeschrieben. Dort besuchte er den sehr gefragten Jugendkunstkurs von Franz Cizek. 1912 begann Karl sein reguläres Studium in Architektur und wurde von Meistern wie Josef Hoffmann unterrichtet. Doch 1916 musste sich Karl, wie alle junge Männer Europas, ihrem Schicksal beugen. Er wurde ins Militär einberufen, geriet allerdings schnell in italienische Gefangenschaft und als er 1919 nach Wien zurückkehrte, konnte er sein Studium beenden.
Nach seinem erfolgreich abgeschlossenen Studium beauftragte Hoffmann seinen ehemaligen Schüler, direkt Objekte für die Wiener Werkstätte zu kreieren. Er entwarf eine Vielzahl an Elfenbeinobjekten, die von einer Schnitzerin in der Werkstatt Hagenauer gefertigt wurden. Die entstandenen Kreationen erinnern auf Grund ihrer ornamentalen Dichte und Stils sehr an Dagobert Peches und wurden auch fälschlicherweise einige Zeit ihm zugeschrieben.
Die Produktpalette der Werkstätte Hagenauer
Die Produktpalette der Werkstätte Hagenauer wuchs in den 1920er Jahren stark an. Neben Dosen, Schalen Aufsätzen oder Schreibgarnituren wurden nun auch Kerzenleuchter, Tisch- und Stehlampen erzeugt und verkauft. Darunter zählen auch ein Paar Kerzenleuchter, die zurzeit in der Galerie Nikolaus Kolhammers angeboten werden. 1928 erschienen sie im Verkaufskatalog, aber da sie noch nicht mit dem typischen Firmensignet ,,wHw‘‘ im Kreis markiert sind, konnte man sie auf 1920 datieren.
Das Paar Kerzenleuchter aus Messingvollguss sind ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, woran sich Karl Hagenauer in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg orientierte. Geometrische Muster und die geschwungene Form der Kerzenleuchter gehen Hand in Hand mit den Ornamenten überein. Jene stilisierte Tierfiguren und die blütenähnlichen gestalteten Tülle erinnern an die Arbeiten von Dagobert Peches. In der Formensprache ist der Einfluss der Wiener Werkstätte klar zu erkennen.
Doch gleichzeitig setzen sich in diesem Werk auch schon geometrische Konturen durch. Außerdem beginnt die reine Form der Kerzenleuchter über das funktionslose Ornament zu bestimmen. Die Tierfiguren sind hier ganz und gar Dekoration, dennoch wirken sie elegant und verspielt, im Einklang mit dem Paar Kerzenleuchter. Die Gleichmäßigkeit der Füße und Arme weist schon auf das Design des frühen Art Déco hin, sie sind ein wunderbares Beispiel für den frühen Stil von Karl Hagenauer.