Konisches Weinglas Rosa mit Schliffdekor, Mod.Nr. I 198, Entwurf Otto Prutscher, Ausführung Meyr’s Neffe für E. Bakalowits Söhne, ca 1908
Lit.: zeitgenössisches Foto im Archiv der Wiener Werkstätte im Museum für angewandte Kunst MAK Wien, Glas Mod. Nr. I/198, Inv.Nr. WWF 89-15-1;
vgl. Abbildung in Torsten Bröhan (Hg.), „Glaskunst der Moderne“, Klinkhardt & Biermann, München 1992, Kelchglas Nr. 56 (gelb), S. 156
Die Stielgläser von Otto Prutscher gehören zu den schönsten Glasentwürfen des Jugendstils für die gehobene Tafelkultur. Ihre leuchtenden Farben sprechen die Sinne unmittelbar an und decken in den diversen farblichen Ausführungen das gesamte Farbspektrum ab. Prutscher verwendet hier das Viereck als dekoratives Hauptelement und schmückt damit den Rand des konischen Kelchs. Am Stiel variiert er den geometrischen Dekor und legt den Schliff kettenartig an. Damit entsteht der Eindruck, als wäre der Schaft aus versetzt aneinandergereihten Glaswürfeln zusammengesetzt. Diese Schlifftechnik beherrschten in der Glashütte Meyr’s Neffe in Adolf (heute Adolfov/ Tschechien) nur die erfahrensten Glaskünstler. Glitt man nämlich beim Ausschleifen des Dekors versehentlich aus, war das gesamte Glas irreparabel fehlerhaft. Mit den bunten Gläsern im geometrisch-strengen Dekor schuf Otto Prutscher ausgesprochen dekorative Klassiker, die in keiner Glassammlung des Wiener Jugendstils fehlen dürfen.
Der Wiener Architekt und Kunstgewerbetreibender Otto Prutscher (Wien 1880 – 1949 Wien) gilt als wichtiger Vertreter des österreichischen Jugendstils. Als Schüler von Josef Hoffmann und Franz Matsch zeichnete er sich für viele Entwürfe der Wiener Werkstätte und Wiener Wohnhausanlagen verantwortlich. Er war nicht nur als Entwerfer aktiv, sondern auch als Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Wien. War sein Stil anfangs noch deutlich von den Arbeiten Hoffmanns beeinflusst, erkennt man bereits ab 1906 eine deutliche stilistische Eigenständigkeit. Zwischen 1906 und 1915 entstehen wundervoll reduzierte Arbeiten ganz im Sinne des Gesamtkunstwerkes des österreichischen Jugendstils. Dabei sind besonders die Arbeiten der Kunstschau 1908 und der Werkbundausstellung 1914 hervorzuheben. Ab 1915 wird der Einfluss von Prutschers Kollegen Dagobert Peche in seinen Arbeiten deutlich. Sein Stil wird moderner und floraler, aber nicht so filigran wie die Arbeiten von Peche. Otto Prutscher verliert nie seine Eigenständigkeit und Inspiration. Auch die Glasarbeiten von 1908 bis 1916 verdienen hier eine gesonderte Erwähnung. Seine Wein- und Likörgläser aus dieser Zeit sind heute bei Sammlern auf der ganzen Welt äußerst gefragt.
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