Dreiteiliger Paravent mit exotischen Tiermotiven, Ludwig Heinrich Jungnickel, um 1909, Druck auf Papier, dokumentiert
Lit.: vgl. dokumentierter Entwurf eines Tierfrieses für das Palais Stoclet/Brüssel in
Ilse Spielvogel-Bodo, „Ludwig Heinrich Jungnickel. Ein Leben für die Kunst“, Johannes Heyn Verlag, Klagenfurt 2000, S. 355
Abbildung in Deutsche Kunst und Dekoration, XVI, Heft 7, 1913, S. 359
Nicht vorrätig
Ludwig Heinrich Jungnickel war auch als Designer für die Wiener Werkstätte (WW) tätig und entwarf Dekorationen für Glas, Textilien und Gebrauchsgrafik. Sein wohl bedeutendstes Werk für die WW war ein Tierfries für das Kinderzimmer im Palais Stoclet in Brüssel. Für die Realisierung dieses Gesamtkunstwerkes hatte der belgische Industrielle Alphonse Stoclet 1905 Josef Hoffmann und die WW beauftragt. Bis zur Fertigstellung im Jahr 1911 arbeiteten daran die wichtigsten, progressiven österreichischen Künstler ihrer Zeit wie Gustav Klimt, Josef Hoffmann und Michael Powolny.
Jungnickel stellte 1908 bei der Kunstschau in Wien erstmals Farbholzschnitte aus, denen 1909 eine Serie mit exotischen Tiermotiven aus dem Tiergarten Schönbrunn folgte. Dafür erhielt Jungnickel internationale Anerkennung. Es ist dokumentiert, dass Jungnickel in der gleichen Zeit für das Stoclet-Fries drei Entwürfe fertigte. Unser Paravent geht auf einen dieser Entwürfe zurück, zeigt eine idyllische Waldlandschaft mit exotischen Tieren und wurde vermutlich um 1908-09 ausgeführt. Peter Weber zufolge, dem Nachlassverwalter des Künstlers, wurden die drei Paneele als Einzelstücke unter der Aufsicht Jungnickels angefertigt. Die Farbe wurde im Holz-, Modell- und Rolldruckverfahren auf das Papier aufgebracht und anschließend wurden manche Details von Jungnickel per Hand eingefügt und übermalt. Ein Umstand, der laut Weber ganz typisch für die Arbeitsweise des Künstlers war.
Die Entwurfszeichnung für diesen Paravent wurde in einem Artikel von Berta Zuckerkandl im Magazin „Deutsche Kunst und Dekoration“ von 1913 publiziert. Die Verbindung zum Palais Stoclet erhebt dieses Werk zu einer außergewöhnlichen Rarität.
Wiener Werkstätte 1903 – 1932
Die Wiener Werkstätte(n) waren eine nach dem Vorbild der Arts und Crafts-Bewegung gegründete Produktionsgemeinschaft, die eine Plattform für künstlerisch gestaltetes und hochwertig ausgeführtes Kunsthandwerk bieten wollte. Oder, wie es G. Fahr-Becker formuliert „…es war eine Werkstätte, die viele unter sich versammelte, ein Kunstwerk als Resultat aller Künste.“
1903 von Josef Hoffmann, Koloman Moser und dem Industriellen Fritz Waerndorfer gegründet, produzierte und vertrieb die Wiener Werkstätte (WW) anfänglich nur Metallobjekte. Das Sortiment wurde in Folge rasch auf Möbel, Einrichtungsgegenstände, Textilien, Schmuck, Accessoires aus Keramik und Glas, Leder etc. ausgeweitet.
Vertrieben wurde das vielfältige Angebot in den eigenen Geschäftsräumlichkeiten in Wien und zeitweise auch in den Filialen in Zürich und New York.
Die Gründerväter und künstlerischen Leiter J. Hoffmann und K. Moser verfolgten ursprünglich das Ideal der künstlerischen Durchdringung aller Lebensbereiche im Sinne des Gesamtkunstwerks. Dieser radikale Anspruch ließ sich nur in einigen wenigen zeitgenössischen Projekten verwirklichen, die vornehmlich von mäzenatenhaften Großbürgern in Auftrag gegeben wurden. Eindrucksvolle Beispiele dafür sind das Palais Stoclet in Brüssel oder die Villa Skywa-Primavesi in Wien.
In den ersten Jahren noch ganz einem streng-geometrischen Stil verpflichtet, wurde dieser Funktionalismus bald auch um gefälligere Formen erweitert. Als Vertreter einer dekorativeren Linie sei hier Dagobert Peche erwähnt, der mit seiner verspielt-fantasievollen Ornamentik Entwürfe für alle Sparten der WW beisteuerte.
Einen wichtigen kreativen Beitrag, speziell in den dekorativen Sparten der WW, lieferten ab circa 1915 die weiblichen Künstlerinnen der Wiener Werkstätte. Am bekanntesten sind wohl die keramischen Künstlerinnen Vally Wieselthier oder Gudrun Baudisch. Die Bedeutung vieler dieser Designerinnen wurde erst in den letzten Jahren in gebührendem Ausmaß gewürdigt*.
Das zunehmend schwierige ökonomische Umfeld nach dem Ersten Weltkrieg führte zur Liquidierung der WW im Jahr 1932. Gabriele Fahr-Becker schreibt dazu: „Die finanziellen Schwierigkeiten, mit denen die Wiener Werkstätte zeit ihres Bestehens zu kämpfen hatte, resultierten nicht vorrangig aus wirtschaftlicher Unkenntnis, sondern gründeten darin, dass man das breite Publikum nicht als Käufer erreichen konnte“ (G. Fahr-Becker, Wiener Werkstätte, Taschen 1994, S. 12).
Über die relativ kurze Zeit ihres Bestehens hinaus übte die Wiener Werkstätte einen nachhaltigen Einfluss aus. Kunsthandwerk sowie Angewandte Kunst wurde entscheidend aufgewertet und eine ganze Generation von Architekten, Künstlern und Designern wurden vom Kunstwollen ihrer Gründerväter beeinflusst.
*Lit.: C. Thun-Hohenstein, A.-K. Rossberg, E. Schmuttermeier (Hg.), Die Frauen der Wiener Werkstätte, Ausstellungkatalog MAK, Wien 2020
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